Baumbesetzerin vor Gericht

"Ella" weist Vorwürfe von sich: "Ich wurde festgehalten und geschlagen"

Zahlreiche A49-Gegner versammelten sich vor dem Gerichtssaal, um ihre Solidarität mit "Ella" auszudrücken.
Fotos: Luisa Diegel

18.01.2022 / GIESSEN / HOMBERG (OHM) - "Free Ella" steht auf dem Ordner, den die Angeklagte dicht vor ihr Gesicht hält, als sie den Gerichtssaal betritt. Ganz in Schwarz gekleidet, mit dunkler Mütze und Maske bedeckt, setzt sich "uwP1", besser bekannt als "Ella", auf die Anklagebank. Der Prozess um die unbekannte Baumbesetzerin aus dem Dannenröder Forst wird neu aufgerollt.


Denn nachdem im Sommer 2021 das Alsfelder Amtsgericht "Ella" wegen gefährlicher Körperverletzung gegen Vollzugsbeamte zu einer über zweijährigen Haftstrafe verurteilt hat, gingen sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung in Berufung.

Das Ungewöhnliche an diesem Fall: Weil die junge Frau bislang immer noch keine Angaben zu ihrer Identität gemacht hat, wird sie vor Gericht als "uwP1" (unbekannte weibliche Person) bezeichnet. Auch deshalb hat der Fall bundesweit für Aufsehen gesorgt. Durch entsprechende Angaben der Autobahngegner und Medienberichten ist die ehemalige Baumbesetzerin auch als "Ella" bekannt. 

"Habe aus Überlebensinstinkt gehandelt"

Doch auch ohne Identität konnte "Ella" verurteilt werden. Ihr wird weiterhin vorgeworfen, am 26. November 2020 bei der Räumung im Camp "Nirgendwo" eine nach Urin riechende Flüssigkeit auf Polizeibeamte geschüttet zu haben. Doch ein weiterer Vorwurf wiegt noch viel schwerer: "Ella" soll außerdem in 15 Meter Höhe auf einer Traverse zwei SEK-Beamte gefährlich verletzt haben. Mit ihrem Fuß soll sie einem Polizisten ins Gesicht getreten haben und so den Absturz - und auch den Tod - des Polizisten billigend in Kauf genommen haben. Zudem wehrte sie sich laut Anklageschrift gegen einen weiteren SEK-Beamten, stieß ihn mit ihrem Knie im Nasenbereich. Deshalb fordert Staatsanwältin Maren Fischer zwei Jahre und sechs Monate Haft für die Unbekannte. 

Am ersten Berufungsprozesstag äußerte sich die junge Frau zu den Anschuldigungen. Unterstützung bekam die ehemalige Baumbesetzerin von etwa 50 weiteren A49-Gegnern, die sich vor dem Gerichtssaal versammelten und mit Rufen wie "You are not alone" auf sich aufmerksam machten. 

Währenddessen spricht "Ella" im besten Englisch darüber, was sich aus ihrer Sicht am 26. November 2020 abgespielt hat. Sie berichtet, dass sie bei dem Einsatz von Polizisten festgehalten und auch geschlagen worden sei. Dadurch habe sie das Gleichgewicht verloren, "ich war nicht fähig, ruhig zu bleiben. Aber ich wollte nur von dem aggressiven Wesen wegkommen", so ihre Aussage. Aus einem Überlebensinstinkt habe sie gehandelt, nachdem ein SEK-Beamter sie mit "Verpiss dich" angeschrien haben soll. "Ich werde zur Abschreckung verleumdet. Mein Fall zeigt, wie der Staat willkürlich kriminalisiert."

Fakten werden neu überprüft

Für eine bessere Bewertung des Falles bat der Richter die Angeklagte mehrfach, ihre Identität endlich preiszugeben. Doch "Ella" schweigt weiter. "Sie zahlen den Preis für die Strategie, die Sie gewählt haben", schlussfolgert der Richter und weist in diesem Zuge darauf hin, dass bei Kenntnissen von sozialen Verhältnissen, Vorbestrafungen oder Staatsangehörigkeit die Möglichkeit bestünde, nach der Hälfte der Haftstrafe entlassen werden zu können. 

"Ella" hat bereits seit Anfang Januar die Hälfte ihrer Haftstrafe verbüßt, bei guter Führung könnte sie nun nach zwei Drittel der Strafe aus der Haft entlassen werden. 

Jetzt werden allerdings erst einmal die Fakten neu überprüft. Zeugen, darunter auch die zwei SEK-Beamten, werden in den nächsten Wochen erneut gehört - Anfang März soll dann ein neues Urteil gesprochen werden. (ld) +++

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