Parlamentarische Staatssekretärin im BMUV

O|N-Interview mit MdB Bettina Hoffmann - "Von Berufs wegen grün"

Kurze Pause auf der Treppe und Check der aktuellsten SMS-Botschaften: Dr. Bettina Hoffmann, Parlamentarische Staatssekretärin im Umweltministerium.
Foto: © Anja Dorny

18.01.2022 / BERLIN - Sie gehört zur kleinen Gruppe der Selbständigen im Bundestag. Sie kommt aus der 700-Seelen-Gemeinde Heimboldshausen, einem Ortsteil von Philippsthal. Sie schloss ihr Biologiestudium in Marburg mit der Promotion ab. Sie war fast 25 Jahre lang Stadtverordnete in Niedenstein. Seit 2017 sitzt sie für den Wahlkreis Schwalm-Eder im Bundestag. Sie liebt den Wald und sie liest gern. Sie ist glücklich verheiratet, obwohl oder weil sie so viele Jahre mit ihrem Mann auch beruflich eng zusammengearbeitet hat. Und heute hat Dr. Bettina Hoffmann, MdB, Geburtstag.



Vom Fachplanungsbüro zur Agentur

Gemeinsam mit ihrem Mann führte Bettina Hoffmann 17 Jahre lang eine Agentur, die aus einem Fachplanungsbüro hervorging. Wir kommen sofort ins Fachsimpeln, als sie erfährt, dass die Verlagsbranche meine berufliche Heimat ist. "Zu unserer Agentur gehörte auch kein kleiner Verlagsbereich. Wir haben Bücher über Naturthemen veröffentlicht, auch zur regionalen Entwicklung, irgendwann arbeiteten wir an Umweltbildungsprojekten bundesweit. Und wir waren die ersten, die als Verlag online aktiv waren, jedenfalls mit Naturthemen – schon  vor Amazon Deutschland!" Sie macht eine kleine Pause und meint dann: "Ich kenne alle National- und Naturparks in Deutschland, wir haben Themen- und Wanderwege konzipiert, Ausstellungen, barrierefreie Internetseiten und Apps entwickelt." Die Leidenschaft für ihren Beruf ist deutlich spürbar, und als ich sie darauf anspreche, sagt sie: "Ich betrachte diese Zeit als großen Schatz, denn ich habe Kontakt zu so vielen und so unterschiedlichen Menschen bekommen, ich habe so viele Regionen besuchen dürfen – und ich habe das typische Auf und Ab als Selbständige erlebt."

O|N: Sie sind bei den Grünen – haben Sie jemals mit einer anderen Partei geliebäugelt?

"Ich bin für die Grünen in die Kommunalpolitik gekommen, ohne Parteimitglied zu sein. Schnell war aber klar, es passt inhaltlich und menschlich, so bin ich eingetreten."

O|N: Warum sind Sie in die Politik gegangen?

"Ach, das war bei mir wie bei so vielen, ich wurde angesprochen. Ich war in verschiedenen Organisationen und Vereinen und hatte mit vielen Leuten Kontakt. Und ja, ich habe mir schon die Frage gestellt, willst Du, kannst Du in einem politischen Amt nicht etwas verändern und gestalten? So ging es los. Nach einigen Jahren wurde ich dann auf Kreisebene aktiv, ich war in der Regionalversammlung und im Landewohlfahrtsverband – das hat mir ungeheuer viel Freude gemacht und ich habe viel gelernt dabei. So bin ich sukzessive immer weiter in die Politik und ihre Strukturen eingestiegen."

O|N: Und dann gingen Sie in den Bundestag?

"Mein Interesse wurde geweckt, als ich auf hessischer Landesebene zweimal die Koalitionsverhandlungen begleiten durfte. Mir wurde klar: Da wo Politik umgesetzt wird, bin ich nicht mehr dabei. Das hat mich gereizt, ich wollte am Tisch sitzen, wenn entschieden wird. Nicht unbedingt, damit ich mich mit meiner Meinung durchsetze, sondern damit ich mitdiskutieren und mitentscheiden kann, um Dinge voranzubringen."

O|N: Bundestag und Ihre Agentur, das vertrug sich nicht miteinander?

"Richtig, aus unserer Agentur bin ich schon 2017 ausgestiegen – das war mir wichtig. Man muss das trennen, damit gar nicht erst der Gedanke aufkommt, man begünstige irgendjemand oder würde bevorzugt. Inzwischen ist auch mein Mann nicht mehr aktiv, wir haben das große Glück, dass unser jüngster Sohn die Agentur gemeinsam mit einem langjährigen Mitarbeiter übernommen hat und weiterführt. Er hat in Fulda Ökotrophologie studiert, außerdem hat er eine Ausbildung zum Kurator gemacht, und arbeitet jetzt mit einem ganz jungen Team. Natürlich macht er vieles ganz anders als wir. Das finde ich gut!"

O|N: Sie kennen die Oppositionsarbeit, und jetzt sind Sie in der Regierung. Was hat sich für Sie verändert?

"Naja, in den letzten vier Jahren hatte ich natürlich meine klar definierten Abgeordnetenaufgaben. Aber jetzt ist wirklich alles anders. Seit Dezember bin ich parlamentarische Staatssekretärin, alles fühlt sich gerade noch ziemlich überwältigend an. Ich muss noch vieles kennenlernen, die Aufgaben und Verpflichtungen rütteln sich gerade zurecht."

O|N: Was genau macht eigentlich eine Parlamentarische Staatssekretärin?

"Wir sind quasi das Rückgrat des Ministeriums, die beiden parlamentarischen Staatssekretäre die politische, die beiden Staatssekretäre die verwalterische Stütze. Gemeinsam bilden wir das engste Umfeld der Ministerin. Unsere Hauptaufgabe ist die Schnittstelle zwischen Exekutive und Legislative, also zwischen Regierung und Parlament. Wir vertreten Ministerin Steffi Lemke und das Ministerium. Wir sorgen für Antworten des Ministeriums, wir sind immer direkt ansprechbar. Wir und die vielen nachgeordneten Behörden des Ministeriums bringen das Fachwissen mit. Weil nicht jeder alles wissen kann, haben wir uns die Tätigkeitsfelder aufgeteilt. Ich habe z.B. habe den Bereich Internationales übernommen, würde also unser Ministerium bei internationalen Konferenzen vertreten, sofern die Ministerin den Termin nicht selbst wahrnehmen kann. Meine weiteren Zuständigkeiten sind: Naturschutz, Kreislaufwirtschaft, Wasserwirtschaft, Bodenschutz und Nachhaltigkeit."

O|N: In der Öffentlichkeit fokussiert man meist auf die Frau oder den Mann an der Spitze…

"Das stimmt. Die Ministerin gibt die Richtung vor – das ist ein Amt, für das man viel politisches Geschick, Standing und Erfahrung braucht. Vieles von dem, was wir tun, vollzieht sich eher im Hintergrund – ein wenig ist es so wie auf einer Bühne, auf der ja auch wenig funktioniert, wenn es hinter den Kulissen oder im Technikraum nicht läuft. Man mag das bedauern oder nicht, aber es ist ja auch so, dass nicht jede/r in der ersten Reihe stehen kann oder will."

O|N: Die ministeriale Struktur entkräftet also das oft gehörte Argument, dieser oder jener Minister hätte gar nicht das nötige Fachwissen.

"So ist es. Man kann sich das vorstellen wie auch sonst bei Führungsaufgaben in einem Unternehmen. Führen heißt nicht notwendig, spezielles Fachwissen zu haben, sondern eben zu führen. Zu führen und zu kommunizieren. Und man braucht die richtigen Leute im Team!"

O|N: Sie haben in einem Interview einmal gesagt, Achtung vor der Meinung anderer sei die wichtigste Eigenschaft eines Politikers. In der Dreier-Koalition haben Sie sicher viel Gelegenheit dazu, das auszuprobieren.

"Mein Zitat bezog sich auf alle Menschen, nicht nur auf die jeweilige politische Blase, in der man sich bewegt. Aber natürlich ist es grundlegend für die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet: Hier wird Loyalität besonders wichtig. Man muss sich auch mal zurücknehmen können, man muss nachvollziehen, wie ein anderer zu seiner Position und Meinung kommt. Das bedeutet, immer wieder über Brücken zu gehen."

O|N: Liegen darin vielleicht sogar besondere Chancen der neuen Regierung?

"Vielleicht, ja. Wir brauchen jetzt erst einmal die Möglichkeit, uns in unserer Koalition gemeinsam und miteinander zu entwickeln. Die Ansprüche aneinander dürfen weder zu hoch noch zu niedrig sein. Wenn unsere Regierung gut ins Laufen kommen will, braucht es diesen Willen zum Gemeinsamen."

O|N: Während der Koalitionsverhandlungen hat das ja schon mal sehr gut geklappt!

"Richtig, es drang nichts nach draußen. Das war schon besonders."

O|N: Es war auch ein echtes First…

 "Nicht ganz, während der ersten grün-schwarzen Koalitionsverhandlung in Hessen war es genauso, und ich bin bis heute davon überzeugt, dass so die Grundlage für das erfolgreiche Regierungsbündnis in Wiesbaden gelegt wurde."

O|N: Die Presse mochte diese Verschwiegenheit aber gar nicht!

"Nein, gerade Berlin braucht jeden Tag eine neue Schlagzeile, wenn die nicht kommt, werden die Leute nervös!" (lacht)

O|N: Ich habe den Eindruck, Politik bewegt sich allmählich hin zu den Polen Veränderung und Verantwortung. Wie sehen Sie das?

"Ja, und mir ist ganz wichtig: Wir Grünen wollen niemanden erziehen, das weise ich weit von mir. Aber wir sind ehrlich und sagen: Wir alle müssen unser Leben verändern. Vieles geht nicht mehr so weiter, wie bisher. Wir müssen an vielen Stellen etwas ändern. Das geht nur in Kombination aus Regeln und Selbstverantwortung."

O|N: Also doch die alte Leier von den grünen Verboten?

"Nein! Ich spreche von Regeln. Die gibt es in allen Bereichen des Lebens, von der studentischen WG bis hin zu einer Kommune oder der ganzen Gesellschaft. Es sind Regeln, die für alle gut sind und das Zusammenleben befördern. Ich bedauere, dass in den letzten Jahren die Politik die komplette Verantwortung mehr oder weniger auf die einzelnen Menschen abgewälzt hat. Es hieß immer, ihr müsst weniger davon tun und mehr davon, ihr müsst das vermeiden und hierfür mehr bezahlen usw. Natürlich sollte jede/r tun, was ihm oder ihr möglich ist. Es kann aber nicht sein, dass Politik sich vor der Verantwortung drückt."

O|N: Verstehen Sie Regeln dann eher als Perspektiven?

"Genau. Wir müssen nach vorn schauen. Politik muss wissen, was sie fördert, und was sie regelt, alles andere schafft Unsicherheit. Und damit können viele Menschen nicht gut umgehen. Ich bin überzeugt davon, dass man Menschen so auch für Veränderungen gewinnen kann."

O|N: Was ist – jenseits von den vielen nationalen und internationalen Krisenherden – die größte Herausforderung, vor der Politik heute steht?

"Politik ist immer in der Gefahr, in Legislaturperioden zu denken. Die Probleme, die wir sehen, sind dafür aber viel zu komplex und nicht einfach lösbar. Wir werden sie nicht schnell bewältigen können, wir brauchen einen langen Atem. Klar, man wird für das gewählt, was man vorhat oder realisiert, und die nächste Wahl steht immer vor der Tür. Da muss man liefern – nur: Es gibt keine einfachen Antworten. Die Politik hat das lange ignoriert, und die Quittung dafür bekommen. Ich war sehr froh über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Klimaschutz, das klare Schritte, Ziele und Termine im Sinne künftiger Generationen eingefordert hat, das war ein richtig gutes Signal."

O|N: Und wie erklären Sie all das den Wählern, die ja wollen, dass Politik ‚liefert‘?

"Wir Grünen hatten schon immer den Anspruch, zukunftsorientiert zu denken. Jetzt sind wir in der Umsetzung gefordert. Wir müssen die Menschen kontinuierlich informieren, wir müssen besser erklären, warum etwas geht oder nicht geht oder nicht jetzt geht oder nicht vollständig geht. Zu vielen Menschen in vielen Bereichen hat die Politik leider den Kontakt verloren, hier müssen wir wieder neu ansetzen."

O|N: Was möchten Sie persönlich in dieser Legislatur-Periode erreichen?

"Ich möchte, dass wir von der linearen endlich zu einer echten Kreislaufwirtschaft kommen. Damit meine ich, dass wir Ressourcen schonen und Umwelt und Gesundheit weniger belasten. Umwelt und Gesundheit müssen wir endlich zusammendenken. Es geht doch um mehr Lebensqualität für uns alle."

O|N: Hat Bettina Hoffmann eigentlich auch ein ‚Lieblingsthema‘?

"Na klar! Eines meiner Herzensthemen ist der Wald. Ich hoffe, es gelingt uns, die typischen alten Buchenwälder in Deutschland stärker unter Schutz zu stellen, ich wünsche mir, dass wir unsere heimische Wildnis positiv wahrnehmen. Ich engagiere mich deshalb auch ehrenamtlich für das Weltnaturerbe Buchenwälder (https://www.weltnaturerbe-buchenwaelder.de)."

O|N: Bitte beenden Sie diesen Satz: Bisher ist noch keinem Menschen aufgefallen, dass ich…

"… ein bisschen abergläubisch bin. Das traut man mir als Wissenschaftlerin irgendwie nicht zu. Ich lese aber häufig mein Horoskop, und ich bin ein ganz typischer Steinbock!"

O|N: Welches Talent, welche Gabe hätten Sie gern?

"Ich würde sehr gern ein Instrument spielen, denn ich finde es toll, wenn man sich darüber ausdrücken kann."

O|N: Frau Dr. Hoffmann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Transparenzhinweis: Pandemiebedingt wurde das Gespräch in einer Zoom-Konferenz geführt. (Jutta Hamberger)+++

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