Mörtel & ein Lächeln von Herzen

"Das sind die Baustoffe für den Wiederaufbau im Ahrtal!"


Fotos: privat

18.09.2021 / GROßENLÜDER / AHRTAL - Die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal lässt Sebastian Reinhardt aus Großenlüder nicht los: Nachdem er uns von seinem anstrengenden und selbstlosen Einsatz dort berichtet hat, ist er mit vielen weiteren ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern weiter vor Ort. Er schreibt:



"Kaum wieder Zuhause nach meinem Helfereinsatz im zerstörten Flutgebiet, habe ich (mit Unterstützung von OSTHESSEN|NEWS) die "Hilfsaktion Wiederaufbau – Osthessen hilft!" ins Leben gerufen, um dringend benötigtes Baumaterial für die Menschen an der Ahr zu sammeln. Die ersten Tage war ich etwas gefrustet. Auf ein direktes Anschreiben an knapp 40 Handels- Handwerks- und Produktionsunternehmen haben sich gerade einmal 4 Unternehmen zurückgemeldet, wobei sich drei Unternehmen bereits tatkräftig vor Ort beteiligen.

Aber dann ging es los, unzählige Mails erreichten mich und ich habe viele Gespräche geführt. Sehr anrührende Gespräche mit Menschen, die mir Einblicke in ihr Leben und ihre Beweggründe gewährten. Vielen ging es wie mir. Sie hatten im Krisengebiet geholfen und waren tief berührt über das Erlebte. Wer einmal mit dem Elend vor Ort in Berührung gekommen ist, den lässt es nicht mehr los, der möchte weiter helfen und die Menschen nicht alleine lassen in ihrer Not.

Ein Bundespolizist, der zur Vermissten-, bzw. Leichensuche eingesetzt war, meldete sich bei mir. Ebenso wie ein sehr bemerkenswertes Ehepaar aus dem Kiebitzgrund. Um mit mir in Kontakt zu kommen hatten sie nach dem Bericht auf Osthessen-News über meinen Einsatz in Mayschoß und Marienthal sogar einen Aufruf auf Facebook gestartet. In der vergangenen Woche haben wir etliche Male telefoniert. Die beiden haben auch das wunderbAHRe-Helfersyndrom. Innerhalb kürzester Zeit sammelten sie und ihre Freunde Spendengelder und reisten letzte Woche mit LKW und zwei Anhängern, vollbeladen mit Baumaterial, und sechs Freunden nach Mayschoß. Nur so können wir den Menschen in ihrer zerstörten Heimat wirklich helfen, wir müssen ihnen tatkräftig zur Seite stehen, damit sie die Kraft für den Wiederaufbau haben. Nur gemeinsam geht das.

Diesem Gedanken folgten vor 153 Jahren schon die Mayschosser Pioniere, als sie die erste Winzer-Genossenschaft im Ahrtal gründeten. Nach dem Leitspruch von Herrn Raiffeisen, der bis heute trägt "Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele!"

Dieser Gedanke, dieses solidarische Miteinander, erfüllt das ganze Ahrtal, durch alle Ortschaften von der Eifel bis runter an den Rhein, entlang der zerfetzten Bahngleise, Brücken und notdürftig geflickten Straßen. Entlang der entkernten Häuser, die mit ihren fensterlosen Höhlungen angstvoll in Richtung Winter blicken, wo die Menschen so sehr hoffen, dass sie bis zur Weihnachtszeit ihre Häuser soweit trocken und beheizbar haben, dass sie aus den Notquartieren in ihr Zuhause und ihre Dorfgemeinschaft zurückkehren können. Und die, die obdachlos wurden hoffen, dass sie während des Wiederaufbaus ein neues Zuhause in der Nähe finden.

Bei den Familien, über die ich berichtet habe, hat sich seit meinen Stemmarbeiten einiges getan. Die Helfer aus dem Kiebitzgrund haben dort ganze Arbeit geleistet. Bei den Keidels gibt es sogar wieder warmes Wasser! Die Abflüsse im Haus wurden so weit repariert, dass Toilette und Waschbecken wieder benutzt werden können. Ein Meilenstein auf dem Weg in die Normalität! Auch die Elektroinstallation ist auf einem guten Weg. Maria erhielt eine neue Tür für ihr Nebengebäude und im Nachbarhaus wurden noch die Kellerwände vom Putz befreit, damit sich kein Schimmel bildet. Das nicht benötigte Material wurde an das riesige Baustoffzelt in Walporzheim gespendet. Das Zelt ist eine geniale Idee von Wilhelm Hartmann, das von den privaten Helfern quasi aus dem Nichts errichtet wurde.

Hier werden Baumaterialien gesammelt, Spenden aus ganz Deutschland. Jeder bedürftige Flutgeschädigte kann sich hier Material holen, alles ist gratis und zeugt von der großen SolidAHRität der Menschen, die mitfühlen – und das sind zum Glück überwältigend viele!

Unter Tränen berichten mir die Helfer aus dem Kiebitzgrund diese Woche, dass Familie Keidel trotz aller Hilfe aufgegeben haben und das Haus wohl verkaufen werden. Herr Keidel ist krank – sehr krank. Die Flut hat ihnen ihren Rückzugsort genommen. Den sicheren Hafen, der ihnen Kraft und Erholung für die anstrengende Therapie von Herr Keidel ermöglicht. Es ist schade, aber am Ende leider auch nachvollziehbar. Die gesundheitliche Situation von Herr Keidel lässt einen Wiederaufbau auch mit Hilfe von Helfern leider nicht zu. Die Arbeit war dennoch nicht umsonst. Die Hilfe hat ihnen gezeigt, dass es auch noch Lichtblicke in dieser schweren Zeit gibt. Ich wünsche ihnen alles erdenklich Gute und weiterhin viel Kraft. Hoffentlich wenden sich auch für sie alles zum Guten.

Auch mir haben zahlreiche Menschen ihre Unterstützung zugesagt, um Material für das Bauzelt zu spenden. Sowohl in Form von Baumaterial, als auch in Form von Geldspenden. Da ich aber keine Geldspenden verwalten möchte, habe ich durch einen Kontakt zum Zement und Kalkwerk Otterbein, eine andere Lösung gefunden. Ich erhielt die Zusage, dass Otterbein einen kompletten LKW Zementbaustoffe spendet und eingehende Geldspenden unbürokratisch in Material umwandelt... zum Selbstkostenpreis!

Auch der Globus Baumarkt in Petersberg hat auf ein Hilfegesuch aus dem Ahrtal Sonderpreise für Elektromaterialien eingeräumt, sodass potenzielle Spender dort Elektromaterial einkaufen konnten.

Für all das gespendete Material stellte die Firma Kress aus Neuhof ihr Firmengelände als Zwischenlager und Verladeort zur Verfügung, sowie einen Sattelzug für den Transport der Güter ins Katastrophengebiet. Es kamen sogar so viele Spenden, dass wir einen zweiten LKW benötigten, den uns Heiko Merz aus Hosenfeld zur Verfügung stellte. Mit so großer Hilfsbereitschaft hätten wir nie gerechnet. Das ist wirklich überwältigend. Was für ein Glücksgefühl!

Das beflügelte uns letzten Samstag, als wir die beiden LKW beluden – ein ganz großes Dankeschön an Karl-Michael Kress, sowie die Helfer aus Wissels und Wisselsrod für ihre tolle Unterstützung.

Wir haben ganz schön was gewuppt: Insgesamt konnten wir 1.600 Sack Putz/Estrich/Zement/Mauermörtel, sowie 3.000 Meter Elektrokabel und diverse Elektrogeräte, eine komplette Badeinrichtung, Duschwände, Installationsmaterial, Dämmplatten und unzählige Rollen Dämmmaterial verladen um es ins Flutgebiet zu bringen. Herr Kress hat kurzentschlossen noch sein Baustofflager geplündert und Lücken auf den LKW mit Waren aus seinem Bestand aufgefüllt.

Der große Lichtblick bei all dem Elend sind die unzähligen privaten Helfer, die schon direkt nach der Flut den Bewohnern zur Seite standen. Ohne sie wären die Menschen restlos verzweifelt. Tausende Helfer haben sich seit dem 14. Juli auf den Weg gemacht, kommen quer durch Deutschland und sogar aus dem Ausland um den Menschen zwischen den Trümmern beizustehen und Hand in Hand mit ihnen zu arbeiten, sie zu trösten, sie zu bekochen und einfach für sie da zu sein inmitten der zerbrochenen Welt ringsum.

Auch ganz viele junge Menschen kommen, meist per Helfer-Shuttle ins Ahrtal. All das ist privat organisiert. Sie alle leisten Unglaubliches! Sie nehmen die Mühen auf sich und nehmen ein Lächeln der Flutopfer und ein Dankeschön aus tiefstem Herzen mit nach Hause. Das ist der größte Verdienst, den man sich vorstellen kann.

Dieses Gemeinschaftsgefühl hat auch mich berührt und gepackt. Deshalb brechen wir Sonntag in aller Frühe von Fulda auf in Richtung Ahrtal, ins Flutgebiet.

Wir haben uns telefonisch im Baustoffzelt angekündigt und werden schon auf der Bundesstraße vor Walporzheim erwartet. Mit den großen LKW können wir nicht direkt bis an das Zelt fahren. Die Paletten müssen auf ein kleineres Fahrzeug umgeladen werden, als Shuttle dient ein LKW der Firma Paletten Krenzer aus Poppenhausen. Auch die Firma Krenzer stellt bereits seit Wochen Fahrzeuge für die Fluthilfe zur Verfügung. Unentgeltlich, inklusive Manpower.

Bereits hier auf der Bundesstraße kommen Leute mit Schubkarren und einem Strahlen in den Augen auf uns zu und bitten um Baumaterial. Ich habe mit meinen 38 Jahren zum Glück noch nie Krieg erlebt. Aber so, oder so ähnlich stelle ich es mir aus den Erzählungen meiner Großeltern vor, so muss es gewesen sein, als die Amerikaner nach dem Ende des Krieges Schokolade an die Kinder verteilt haben.

Hier im Ahrtal mangelt es an sämtlichen Materialien. Die Menschen sind nach wie vor auf Spenden und tatkräftige Unterstützung angewiesen. Über 3.000 Häuser müssen wieder instandgesetzt werden und der Winter rückt mit großen Schritten näher.

Beim Umladen treffe ich einen besonderen Fluthelfer wieder, dem ich schon auf meiner Baustelle in Marienthal begegnet bin. Er ist bereits seit sechs Wochen im Einsatz und versorgt aus seinem Volvo mit Anhänger heraus die Helfer vor Ort mit Brötchen, Kaffee und Getränken. Alles in Eigeninitiative und finanziert durch private Spenden. Mittlerweile hat sein Fahrzeug einiges mitgemacht, aber Beulen und Kratzer sind ihm egal. Auch eine defekte Seitenscheibe hält ihn nicht von seiner Arbeit ab. Das Wichtigste für ihn ist die Freude in den Gesichtern der Menschen. Das erzeugt auf beiden Seiten Glücksgefühle, die hier im Krisengebiet überall ausgetauscht werden und die Menschen beflügeln über sich hinaus zu wachsen!

Auf dem Weg ins Helferlager treffe ich Sven. Ihn und einige andere aus meinem Bauteam lässt das Virus Ahrtal ebenfalls nicht los. Die Jungs und Mädels fahren seit Wochen jedes Wochenende ins Ahrtal und machen Menschen glücklich. Die Truppe trifft sich jedes Wochenende auf dem Gelände des Helfer-Shuttle. Einige haben ihr Auto mittlerweile so umgebaut, dass sie bequem darin schlafen können. Für diesen Einsatz ziehe ich meinen Hut und zolle höchsten Respekt.

Auf der Fahrt von Fulda ins Ahrtal begleitete mich mein Schwager. Auf meine Frage, ob er es sich die Situation vor Ort so vorgestellt hat, sagte er nur: Du hast zwar viel erzählt, aber das es hier so aussieht, das habe ich nicht gedacht. Dabei ist Walporzheim im Vergleich zu anderen Ortschaften mittlerweile auf einem sehr guten Entwicklungsstand wenn ich bedenke, wie es hier an Tag 1 nach der Flut ausgesehen hat. Meterhohe Anschwemmungen im Durchgang zwischen der Kapelle und dem Sternerestaurant St. Peter.

Die freiwilligen Helfer haben hier viel bewegt und sind zu einem verlässlichen Partner für die Menschen geworden, die immer noch auf diese Unterstützung und Spenden angewiesen sind. Es ist doch unglaublich, auch acht Wochen nach der Katastrophe ist von der vollmundig zugesagten unbürokratischen Unterstützung von Versicherungen und öffentlicher Hand kaum etwas angekommen. Die Menschen sind enttäuscht und verzweifelt, bangen weiter um eine Zukunft in der zerstörten Heimat.

Ich werde weiter für den Wiederaufbau im Ahrtal "trommeln" und hoffentlich vielen Menschen die Spendenaktion ans Herz legen und weiteres Baumaterial sammeln.  Jeder Euro, jeder Sack Putz, jeder Eimer Farbe, jede Schraube hilft den Menschen und gibt ihnen eine Perspektive für die Zukunft. Die nächste Tour ist bereits geplant, am Sonntag, den 26. September, können wir hoffentlich wieder viele Flutopfer mit unseren Spenden glücklich machen.

Ihre Spenden und Hilfsangebote sind überlebenswichtig und hochwillkommen, melden Sie sich bitte per Mail an: osthessen-hilft@gmx.de

Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei allen großherzigen Spendern, Helfern, Unterstützern und Multiplikatoren der "Hilfsaktion Wiederaufbau – Osthessen hilft!" bedanken. Mit ihrer Unterstützung konnte schon vielen Menschen geholfen werden. Von Herzen DANKE!" (Sebastian Reinhardt) +++

Sebastian Reinhardt startet "Hilfsaktion Wiederaufbau - Osthessen hilft!"

Zweiter Teil des Tagebuchs aus dem Hochwassergebiet von Sebastian Reinhardt

"Chaotisch, gefährlich und berührend!" - Sebastian Reinhardt als Helfer im Ahrtal

X