Er prägte den Handball auch in Osthessen

Mr. Frauenhandball Dr. Jürgen Gerlach verstorben

Dr. Jürgen Gerlach ist im Alter von 74 Jahren verstorben
Foto: privat

15.03.2021 / GIEßEN - Dr. Jürgen Gerlach war der erfolgreichste deutsche Frauenhandball-Trainer aller Zeiten. Mit dem TV Gießen-Lützellinden feierte er Deutsche Meisterschaften, Siege im DHB-Pokal und im Europapokal.  Drei Jahrzehnte war der »Doc« im Trainer-Geschäft. Am vergangenen Freitag ist er im Alter von 74 Jahren einer Herzattacke erlegen.



Der letzte von drei Europapokal-Erfolgen (1991, 1993, 1996) liegt 25 Jahre zurück, die letzte von sieben Deutsche Meisterschaften (1988, 1989, 1990, 1993, 1997, 2000, 2001) exakt 20 Jahre. Trainer war Dr. Gerlach beim TSV Dutenhofen bis 1980, beim TV Gießen-Lützellinden von 1980–2006 sowie beim TV 05 Mainzlar von 2006-2011. Zu den Triumphen gehören noch fünf DHB-Pokal-Siege (1989, 1990, 1992, 1998 und 1999) sowie der DM-Titel mit der Lützellindener A-Jugend 2006.

Gerlach half dem Verein mit seinem Privatvermögen  


Die harte Schale des Handball-Besessenen, des Liga-Lautsprechers, des Unbequemen hatte in all den Jahren durchaus den weichen Kern des Fürsorglichen, des sozial Engagierten, des Verantwortungsbewussten. Dr. Gerlach war selbst aktiver Handballer, hat durch den Sport Freunde gefunden und Ansehen gewonnen; Dr. Gerlach hat oft aber auch das Rad überdreht und finanziell dafür tief in die Tasche greifen müssen.

Zu seinem 50. Geburtstag hat Dr. Gerlach bekräftigt, von der Jugend an bis ins Alter nach der Oeschchen Lebensweisheit zu handeln: Zum Erfolg gibt es keinen Lift, man muss die Treppe benutzen. Zu jeder Zeit hatte Gerlach starke Spielerinnen in seinen Teams bzw. an seiner Seite. Mit Ulrike Valentin und Marion Böhm gelang der Erstliga-Aufstieg, mit Barbara Wenzl, Elena Leonte und Renate Wolf waren die ersten großen nationalen Erfolg verbunden. Als Weltstars wie Dragica Djuric, Eva Kiss und Csilla Elekes nach Mittelhessen kamen, gelang von 1991 bis 1995 fünf Jahre in Serie der Einzug in ein europäisches Finale. Aber schon Mitte der 90er Jahre setzte - finanziell bedingt - der schleichende Niedergang ein, den weder der letzte DM-Titelgewinn 2001 noch die jährlichen persönlichen Finanzspritzen Gerlachs aufhalten konnten.

Auch wenn sein Wirken beim TVL und beim TV Mainzlar nunmehr Geschichte ist, so hat Dr. Jürgen Gerlach den deutschen Frauenhandball geprägt wie kein Zweiter und diesem bislang als einziger Trainer den Europapokalsieg bei den Landesmeistern eingebracht. Der Region Mittelhessen hat er über zwei Jahrzehnte ein permanentes Wachstum im Frauenhandball beschert, besonders bei den von seiner Tätigkeit profitierenden unterklassigen Klubs.

Gerlach hat mit dem Handball unzählige positive Geschichten in Europas Hallen von Wien bis Trondheim geschrieben und avancierte so zum erfolgreichsten deutschen Frauenhandball-Trainer aller Zeiten. Nicht nur um diese Geschichten ist die heimische Sportszene nun ärmer, auch um eine Person, die ein Journalisten-Kollege einmal mit »in Wirklichkeit ist der böse Mr. Hyde doch der gute Dr. Jekyll« beschrieb. Dem Trainervirtuosen folgte der Klavier-Virtuose mit vielen Benefizkonzerten im Gießener Raum.

Sportstars aus ganz Deutschland begaben sich in seine Hände 


In seinem Hauptberuf als Orthopäde und Sportmediziner galt er als besonnener Arzt, der ebenso den Erfolgsweg eingeschlagen und Vertrauen gewonnen hat. Patienten aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland suchten seine Praxis in Gießen und später in Heuchelheim auf. Darunter auch viel Sportprominenz wie der Ehrenspielführer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft Fritz Walter oder der Leichtathlet Edgar Itt aus Gelnhausen. "Dem Sportmediziner Dr. Gerlach habe ich ganz wesentlich meine Karriere zu verdanken. Jahrzehnte war ich Patient bei ihm. Sein Tod stimmt mich unendlich traurig," so Edgar Itt in einer ersten Stellungnahme. Aber auch der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier äußerte sich: "Der plötzliche Tod von Dr. Gerlach ist eine sehr traurige Nachricht. Ich kannte ihn seit Schulzeiten. Er hatte viele Talente und hat viel bewegt. Er war nicht immer einfach, aber stets ein treuer Freund."

Starke Verbindung nach Waldhessen


Zur Region Waldhessen und seinem Freund Reiner Birkel hatte Dr. Gerlach eine starke und ganz besondere Verbindung. Waren es zuerst Anfang der 80-er Jahre die Trainingslager im Sporthotel bei Ewald Deis in Hohenroda, fungierte er danach als Berater, Ideengeber und Kurzeitrainer beim TV Eitra. War er es doch, der Heinz Koch und Reiner Birkel die Verbindung zu Zeljko Zovko, damals Spielertrainer bei Eintracht Wiesbaden, herstellte, die dann Grundlage für das Eitraer "Handballmärchen" mit dem Aufstieg in die 1. Bundesliga wurde. "Ich erinnere mich nur positiv an Jürgen Gerlach, denn er war immer korrekt und als Trainer ein Vorbild. Sein plötzlicher Tod macht mich sehr traurig," äußert sich der Eitraer Erfolgstrainer in einer ersten Stellungnahme.

Ideengeber war Doc Gerlach aber auch beim Bau der "Meirotels-Halle" in Rotenburg a.d.F., stellte er damals den Kontakt zu DHB-Präsident Bernd Steinhauser her. "Jürgen Gerlach überzeugte den DHB-Präsidenten sowie das Präsidium von den Möglichkeiten und half entscheidend mit, dass die Handball-WM der Frauen 1997 in Rotenburg a.d.F. ausgetragen wurde," erinnert sich der damalige WM-Koordinator Reiner Birkel.

Unvergessen auch die Hessen-Derbys in der Frauenhandball-Bundesliga zwischen der SG Hessen Hersfeld und dem TV Gießen-Lützellinden. Zuletzt am 03. Februar 2001 in der Geistalhalle mit Ehrenspielführer Fritz Walter als Überraschungsgast. Lothar König, damaliger Manager der Hessen: "Mit Doc Gerlach verband uns eine sportliche Rivalität. Seine großartigen Verdienste um den deutschen Handball bleiben für immer!"

Nach vielen Sportlern aus der Region fanden immer mehr Patienten aus Ost- und Nordhessen den Weg in die Praxis des bekannten Orthopäden nach Gießen und später nach Heuchelheim. Seine letzten Auftritte in der Region hatte Dr. Gerlach beim Benefizspiel von Bernd Fichtner in Schenklengsfeld sowie bei der Gedenkfeier für Heinz Koch bzw. 25 Jahre Bundesligaaufstieg des TV Eitra im Bürgerhaus in Hauneck-Unterhaun. Dazu Bürgermeister Harald Preßmann: "Wir Haunecker sind sehr traurig, dass mit Dr. Gerlach ein Freund unserer Gemeinde und unserer Handballer nicht mehr unter uns ist. Gerade der TV Eitra hat Dr. Gerlach viel zu verdanken. Aber auch vielen Patienten aus unserer Gemeinde hat er sehr geholten."

Dem Trainervirtuosen war in den Jahren danach der Klavier-Virtuose gefolgt, ehe es um ihn öffentlich etwas ruhiger, in den letzten Jahren - u. a. auch wegen einer langwierigen Erkrankung - sogar leise wurde. Jetzt ist es ganz still um ihn geworden. Ruhe in Frieden, »Doc«! (pm)+++

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