Ländlicher Raum abgehängt

Der Medibus muss erhalten bleiben - Gezerre um die Kosten ist eine Schande

Die Forderung ist eindeutig. Die Gesundheit ist das höchste Gut.
Fotos: Gudrun Schmidl

30.09.2020 / NENTERSHAUSEN - Er ist ein wirklicher Hingucker, der Medibus, die mobile Arztpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, lobt sich die KVH selbst. Wie immer machte er am Montag Halt in Nentershausen an der Tannenberghalle und ungewöhnlich viele Menschen waren vor Ort. Darunter natürlich hilfesuchende Patientinnen und Patienten, aber auch zahlreiche "Bittsteller", die sich dem Appell des VdK Kreisverbandes Rotenburg und der Ortsverbände Cornberg und Nentershausen anschließen, die eine ausreichende ärztliche Versorgung vor Ort fordern. "Dazu muss der Medibus erhalten bleiben, damit die Bürgerinnen und Bürger in den betroffenen Gemeinden Nentershausen, Weißenborn, Cornberg, Herleshausen und Sontra nicht von einer ausreichenden ärztlichen Versorgung abgehängt werden", fordert der VdK-Kreisvorsitzende Raymond Singh.



Diese öffentliche Aktion wurde mit prominenter Unterstützung der SPD-Landtagsabgeordneten Karina Fissmann und den Bürgermeistern Ralf Hilmes (Nentershausen) und Achim Großkurth (Cornberg) veranstaltet, um Flagge zu zeigen gegen die Nichtverlängerung des Medibusses über den 31. Dezember 2020 hinaus. Singh stellte fest, dass es immer noch die Pflichtaufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung sei, dafür zu sorgen, dass eine adäquate Hausarzt- und Facharztversorgung in den Gemeinden vorgehalten werden muss. Herbert Heisterkamp, der für den Bereich der Sozialpolitik zuständige stellvertretende Kreisvorsitzende, mahnt: "Seit Jahren lässt die KVH mehr oder weniger ihre Verpflichtung der Versorgung schleifen. Dass jetzt die Kassenärztliche Vereinigung so tut, als wenn die anstehende Verlängerung vom Himmel gefallen sei und man sich erst jetzt über die Kosten einigen müsse, ist eine Schande!" Heisterkamp stellt fest: "Die KV hat die Zeit verschlafen, um Abhilfe zu schaffen. Es ist ein starkes Stück, wenn jetzt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV, Dr. Eckhard Starke, die Kosten anführe und den verpflichtenden Versorgungsauftrag einfach zur Seite schiebe".

Heisterkamp fügt an: "Die kreisweit agierende, vom Landrat Dr. Michael Koch hoch gelobte Hausarztakademie, die von Dr. Martin Ebel, einem Funktionär der Kassenärztlichen Vereinigung geführt wird, hat keinen nennenswerten, positiven Beitrag zur Ansiedlung von Ärzten in der Region geleistet". 

Zu einer guten Gesundheitsversorgung gehört gerade auf dem Land die wohnortnahe und bedarfsgerechte Versorgung mit Allgemeinmedizinern, Fachärzten, ambulanten Pflegediensten, die Erreichbarkeit von Praxen für Physio- oder Ergotherapie und Apotheken. Im Einsatzbereich des Medibusses ist das reines Wunschdenken, denn der Versorgungsmangel als Ausdruck der generellen Vernachlässigung des ländlichen Raums greift um sich. Das bedeutet: volle Arztpraxen, weite Wege und lange Wartezeiten auf Termine oder vielfach Aufnahmestopps für Patientinnen und Patienten. Wie tief und lange muss man schlafen, um dieser Entwicklung keinen Einhalt zu gebieten und zulässt, dass sich Ärztinnen und Ärzte nicht mehr dort niederlassen, wo sie gebraucht werden. Es ist ein Armutszeugnis aller Verantwortlichen, wenn zumeist ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger für "ihren Medibus" kämpfen, der als Übergangslösung im Jahr 2018 aus der Not heraus geboren wurde, aber jetzt den Todesstoß bekommen soll.

Eine Katastrophe besonders für ältere Patientinnen und Patienten, für die es weiterhin möglich sein muss, in eine Arztpraxis zu gehen und wenn diese in einem umgebauten Bus untergebracht ist. Das persönliche Gespräch, der direkte Kontakt und selbstverständlich auch die persönliche Behandlung müssen die Basis der ärztlichen Versorgung bleiben besonders für chronisch kranke, ältere und wenig mobile Patienten. Auch aus Sicht der Medibus-Ärztin Dr. Doris Gronow kommt der Bus gut an. "Es ist für die Patienten nicht gut, wenn man sie im Unklaren lässt. Auch wir wissen nicht, wie es weitergeht", bedauert die Ärztin, die sich – aus dem Rheinland kommend – in Nordhessen sehr wohl fühlt. Sie betont, dass sie beileibe nicht nur Husten behandelt und Rezepte ausstellt. "Wir hatten hier richtig schwere Fälle, die wir erkannt haben und so rechtzeitig handeln konnten".
     
Es geht hier also vordergründig um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger und nicht um finanzielle Spielereien der Kassenärztlichen Vereinigung und des Landes Hessen zu Lasten der örtlichen Steuerzahler und den betroffenen Kommunen. Es ist schon eine weitere Frechheit, wenn die KVH jetzt die Kommunen über die Hintertür zur Kasse bitten will. Mitfinanzierungsanteile können die Kommunen so ohne weiteres nicht stemmen, beklagt Heisterkamp. "Es ist jetzt die Aufgabe der KVH, mit oder ohne Landeszuschuss, den Medibus weiter fahren zu lassen und da darf man die KVH nicht aus ihrer verpflichtenden Verantwortung lassen", stellt Singh zum abschließend fest.

Bürgermeister Ralf Hilmes saß nach eigenen Angaben vor Jahren mit Vertretern der KVH am Tisch und musste sich sagen lassen, dass ihn die ärztliche Versorgung in seinem Ort nichts angeht". Er fordert auf, "richtig auf den Putz zu hauen", sachliche, aber im Ton bestimmende Leserbriefe zu schreiben, sich an der Unterschriftenaktion zu beteiligen und Druck aufzubauen. (Gudrun Schmidl) +++

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