300 Euro Strafe für 71-Jährigen

Üble Drohungen gegen Walter Lübcke - Warum wurde das Verfahren eingestellt?

Der Angeklagte und sein Verteidiger
Fotos: Jonas Wenzel (Yowe)

02.07.2020 / GELNHAUSEN - Auch für routinierte Prozessberichterstatter war das abrupte Ende eines brisanten Verfahrens in Gelnhausen schwer nachzuvollziehen. Wie am Dienstag berichtet, war der Prozess gegen den 71-jährigen Angeklagten gegen eine Geldauflage von 300 Euro eingestellt worden. Ihm hatte die Anklage zur Last gelegt, 2015 zwei Hass-Kommentare in der Facebook-Gruppe "Mut zu Deutschland" verfasst zu haben. In Bezug auf den vor einem Jahr ermordeten Regierungspräsidenten Walter Lübcke hieß es dort wörtlich: "Der gehört auf der Stelle abgeknallt" und "Den Fettsack müsste man mit Knüppeln aus dem Land jagen". 

Dr. Benjamin Krause von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main hatte den 71-Jährigen wegen der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten angeklagt, weil auf dessen Dachboden der Computer gefunden worden war, von dem aus die Hassbotschaften abgesetzt wurden. Am ersten Verhandlungstag, dem 18. Juni, weigerte sich der Angeklagte - offenbar auf Anraten seines Anwalts hin - Stellung zu den Vorwürfen zu beziehen. Das Medienaufgebot im Amtsgericht war groß - sicher auch, weil gerade in Frankfurt der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke vor dem Oberlandesgericht steht. Denn Stephan Ernst hatte hasserfüllten Worten schließlich tödliche Taten folgen lassen. 

Warum wurde das Verfahren eingestellt?


Ein Angeklagter, der weder ein Geständnis ablegt, noch etwas zur Erklärung oder zu seiner Entschuldigung vorbringen kann, kommt mit einer vergleichsweise geringen Geldstrafe davon? Auf Anfrage von O|N erklärt Dr. Krause den Hintergrund dieser Gerichtsentscheidung. Nachdem die Medienvertreter nach der ersten Verhandlung gegangen seien, habe sich 71-Jährige auf eigenen Wunsch doch noch eingelassen und den Anklagevorwurf eingeräumt. "Da sind ganz schlimme Sachen geschrieben worden", hatte der Verteidiger bereits am ersten Verhandlungstag festgestellt. Der Angeklagte habe sich eindeutig vom Inhalt seiner Kommentare distanziert und zum Ausdruck gebracht, dass von ihm keine Gefahr gleichgelagerter Handlungen mehr ausgehe. 

Der Staatsanwalt, dessen Fokus auf der Bekämpfung von Internetkriminalität liegt, erläutert, dass es ihm bei der Verfolgung und Bestrafung solcher Vergehen nicht vordergründig um die Abschreckung potentieller Täter durch möglichst hohe Strafen gehe. Es gelte vielmehr, jemand dazu zu bringen, "aus der Anonymität seiner Komfortzone auf der Couch herauszukommen, sich in der Öffentlichkeit für seine Taten zu verantworten und zu bekennen, Mist gebaut zu haben". Der Einschätzung  des Staatsanwaltes nach sei der 71-Jährige erreicht worden und habe sich einsichtig gezeigt. Da er bislang noch nie strafrechtlich in Erscheinung getreten sei und vermutlich auch keine Wiederholungsgefahr bestehe, konnte das Verfahren eingestellt werden. (Carla Ihle-Becker)+++

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