"Unlösbares Dilemma"

Verschärfte Personalvorgaben bringen Krankenhäuser in Bedrängnis

Intensivpflege ist personalintensiv
Symbolbild

16.11.2019 / FULDA - Die von Gesundheitsminister Jens Spahn zum Jahresbeginn 2019 gesetzlich festgelegten Untergrenzen für Pflegepersonal auf einigen Stationen der Krankenhäuser wird von den meisten Medizinern in der Praxis äußerst skeptisch bewertet. Klinikumsvorstand Priv.-Doz. Dr. Thomas Menzel hat uns seine Bedenken bereits im Februar ausführlich erläutert: "Jegliche flexible Steuerung der Abläufe im Krankenhaus wird den Menschen, die sich dort wirklich gut auskennen, durch starre Vorgaben aus einem Bundesministerium genommen", lautete seine Kritik.

Jetzt wollten wir von Ärzten und Pflegekräften noch einmal genau wissen, wie sich die Regelung praktisch auswirkt und an welchen Stellschrauben noch nachjustiert werden müsste. Dafür haben wir uns im Klinikum mit Dr. Bernd Mark, Leitender Oberarzt der medizinischen Intensivstation, Pflegedirektor Ronald Poljak und dem Leiter der Intensivpflege Josef Weber unterhalten.



Zum Hintergrund: auf den Intensivstationen, in der Unfallchirurgie, der Geriatrie und der Kardiologie gilt seit dem 1.1. dieses Jahres das sogenannte Pflegepersonalstärkungsgesetz (PpSG) und die Pflegepersonaluntergrenzenverordnung (PpUGV). Hinter diesen Wortungeheuern verbirgt sich der eigentlich sinnvolle Gedanke, dass es den Patienten zugute kommt, wenn ausreichend Personal da ist, um sich um deren Belange zu kümmern. Der Verordnung nach muss ein bestimmtes Mengenverhältnis von Pflegepersonal zu Patient eingehalten werden. Auf der Intensivstation soll beispielsweise pro 2,5 Patienten jeweils eine Pflegekraft eingesetzt werden. Sollte jetzt im November eine Grippewelle nicht nur den Anteil der Patienten erhöhen, sondern gleichzeitig auch den der Pflegekräfte durch vermehrte Krankmeldungen verringern, kann der vorgeschriebene Schlüssel nicht mehr eingehalten werden. Auch wenn die PpUGV in solchen Fällen zwar ein Unterschreiten der Untergrenzen zulässt, bedeutet das letztlich entweder, Patienten abzuweisen, was für das Klinikum nicht in Frage kommt, personell umzuschichten, was wegen der Spezialisierung der Pflegekräfte problematisch ist oder teure Leihkräfte einzusetzen.

Dabei sollte das Gesetz doch die Versorgungsqualität vor allem in den pflegeintensiven Bereichen erhöhen. Um die Untergrenzen einhalten zu können, müssen Krankenhäuser zwangsläufig die Versorgung in anderen Bereichen einschränken, denn es sind einfach nicht genug Pflegekräfte vorhanden. Mehr Pflegepersonal vorzuhalten, ist schlicht unmöglich, weil der reguläre Arbeitsmarkt leergefegt ist und bundesweit um die 20.000 Pflegekräfte fehlen - ein fast unlösbares Dilemma.

Deshalb wünschen sich Ärzte und Pflegedienstleitung eine flexiblere Handhabung der starren Vorgaben. Nicht allein das rein zahlenmäßige Verhältnis von Patient und Pflegepersonal sei von Belang, sondern vor allem der höchst unterschiedliche Aufwand an Pflegeleistungen, der von Fall zu Fall variiere - je nachdem, ob die Patienten zur Beobachtung oder Behandlung, mit oder ohne Beatmung, orientiert oder desorientiert, mobil oder immobil seien.

Einen Vorteil sieht der Leiter der Intensivpflege am Klinikum, Josef Weber allerdings in dem umstrittenen Gesetz: "Seither hat kontinuierlich eine allmähliche Aufwertung der Pflegeleistung und des Personals stattgefunden", konstatiert er. Die lange vernachlässigte Bedeutung des Pflegeberufes und die Wertschätzung der Pflegenden nehme derzeit zu. Und der eklatante Fachkräftemangel führe auch zu besseren Arbeitsbedingungen und höherer Bezahlung. Das komme schließlich auch den Patienten zugute, sagt Weber. (Carla Ihle-Becker) +++

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