Joern Hinkel inszeniert "Der Herr der Fliegen

Theaterprojekt mit den Sommernachtsträumern - noch zwei Aufführungen

Anthony Isaak als Roger auf Schweinejagd
Fotos: Harald Ernst

03.11.2018 / BAD HERSFELD - Was passiert mit dem Menschen, wenn er fernab von Zivilisation, staatlicher Kontrolle und gesellschaftlichem Druck lebt? Ist er von Natur aus gut? Nein! William Golding zeigt in seinem weltberühmten Roman „Der Herr der Fliegen“, für den er 1983 den Nobelpreis für Literatur erhielt, sehr nachvollziehbar auf, welches Gewaltpotential in jedem Menschen schlummert. Wenige Wochen in absoluter Freiheit genügen und er lässt Jahrhunderte der verfeinerten Sitten, der Kultur, der Demokratie und des Rechts hinter sich, um in brutale Barbarei zu verfallen. An diesem Wochenende spielen die „Sommernachtsträumer“ William Goldings Parabel auf den kalten Krieg in der Probenhalle der Bad Hersfelder Festspiele, die außerhalb der Spielzeit den optimalen Rahmen für eine erste öffentliche Aufführung bietet, die ihr ganz eigenes Tempo, ihre Untiefen und Stolperfallen hat und auch noch von erschreckender Aktualität ist.



Festspiel-Intendant Joern Hinkel betont, dass dieses Stück mit wenigen Mitteln „aus dem Boden gestampft wurde“. Außerdem standen nur insgesamt 26 Tage für die Proben zur Verfügung. „Es ist die letzte Gelegenheit, die Sommernachtsträumer in dieser Zusammensetzung zu sehen“, bedauert Hinkel. Vorab sei erwähnt, dass alle Protagonisten in diesem gut gewählten Stück, das die fundamentale Bedeutung der Zivilisation beziehungsweise seiner Abwesenheit vor Augen führt, voll und ganz überzeugen.

Zum Inhalt: Eine Gruppe von Schülern stürzt nach einem Raketenangriff mit einem Flugzeug über einer verlassenen, paradiesisch schönen Südsee-Insel ab. Zunächst tun sie alles dafür, sich an selbst festgelegte Regeln zu halten und sich demokratisch untereinander abzustimmen. Sie errichten Hütten, pflegen sich, so gut es geht und versuchen, durch eine als Versammlungsinstrument benutzte Muschel einen starken Bezug zur Demokratie herzustellen. Es ist fast wie im Paradies. Sie singen und tanzen auf „ihrer Schatzinsel“, genießen die warme Sonne, den schäumenden Pazifik und die frische Luft.

Die Brille des Jungen (Christopher Seban), der nicht Piggy genannt werden will, dient als Brennglas zum Feuermachen. Damit können sie einerseits die Schweine garen, die es auf der Insel gibt, andererseits soll der Rauch vorbeifahrenden Schiffen auffallen. Mitten im Paradies entsteht allmählich ein animalischer Jagdtrieb, der nicht mehr nur den Schweinen gilt, als die Rivalität zwischen Ralph (Nico Otto) und Jack (Diyar Ilhan) und den Gruppen, die sich inzwischen um sie gebildet haben, eskaliert.

Aber je größer der Hunger, je verzweifelter die Angst vor wilden, unbekannten Tieren und dem seltsamen Menschtier, dem Herrn der Fliegen, desto mehr setzen sich die Stärkeren gegenüber den Schwächeren durch. Ohne gesellschaftliche Grenzen und Moralvorstellungen zeigen die jungen Gestrandeten ihr wahres Gesicht und das ist teilweise äußerst hässlich. Es sind Kinder und Jugendliche, die irgendwann, gepeinigt von Wahnvorstellungen und Angstzuständen, unkontrolliert ihre Aggressionen ausleben, übereinander herfallen und auch vor Mord nicht mehr zurückschrecken.

Anders als im Buch sind in dieser Theaterfassung auch Mädchen dabei, was weiteres Konfliktpotential bedeutet. Anna (Paula Dcker), Bella (Lara-Luisa Rühl) und Frieda (Marie-Henriette Hammer) gehören zu der kleinen Zwangsgemeinschaft, die der „Feuergruppe“ oder der „Jagdgruppe“ angehören.  Besonders starke Szenen von Simon (Elias Christen), Roger (Anthony Isaak), Parzival (Silas Blüm) und vor allem von Christopher Seban als Piggy, der ohne Brille „blind“ ist, nicht schwimmen kann und außerdem Asthmatiker ist, zeigen schonungslos den Kampf ums nackte Überleben.

Eindrucksvoll auch die Begegnungen mit Jacks totem Freund, Parzivals Schwester, Piggys Tante, Ralphs Vater und Simons Psychiater in den nächtlichen Träumen. Erschreckende, teils blutrünstige Bilder, die schwer wieder zu vergessen sind, lassen Parzifal fragen: „Haben wir Krieg“? Ein absolut sehenswertes Stück, eine gelungene Inszenierung und eine herausragende Ensembleleistung. Minutenlange stehende
Ovationen sprechen für sich.
 

Nach der Premiere am Freitag wird das Stück heute und am Sonntag jeweils um 19.00 Uhr in der Probenhalle der Bad Hersfelder Festspiele an der Stadthalle (Wittastraße – Ecke Lutherstraße) aufgeführt. Es wird ein Unkostenbeitrag von 10 Euro, ermäßigt 5 Euro erhoben. Eintrittskarten gibt es heute beim Ticketservice der Stadt, in der Hoehlschen Buchhandlung, bei "tausendschoen" in der Johannesstraße und an beiden Tagen an der Abendkasse. (Gudrun Schmidl)

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