Warum es so etwas immer wieder geben kann

Albert-Schweitzer-Schule zeigt mit „Die Strömung“ ein verstörendes Experiment

Mit ihrem Stück "Die Strömung" zeigte die Q2 der Albert-Schweitzer-Schule, wie ein Schulexperiment schwere Folgen nehmen kann
Fotos: Traudi Schlitt

18.05.2018 / ALSFELD - „Stärke durch Disziplin, Stärke durch Gemeinschaft!“ – wie schnell aus der gutgemeinten Idee eines Lehrers ein verstörendes Experiment mit katastrophalem Ausgang werden kann, das zeigte vor kurzem der DS-Kurs der Albert-Schweitzer-Schule unter der Leitung von Veronica Saez in zwei Vormittags- und einer Abendveranstaltung – eine beeindruckende Leistung der 23 Schülerinnen und Schüler der Q2, die das ursprüngliche Stück „Die Welle“ von Morton Rhue nach einem wahren Experiment in den 1960er-Jahren in den USA auf jetzige, deutsche Verhältnisse umgeschrieben hatten.



Ausgangspunkt ist eine ganz normale gemischte Schulklasse mit verschiedenen Hobbys, Schwächen und Stärken, mit den üblichen Cliquen und einem Außenseiter, mit mehr oder weniger viel Lust auf Schule. Selbst ein Film über die Konzentrationslager unter den Nationalsozialisten im Dritten Reich langweilt die meisten: „Was hat das heute noch mit uns zu tun“, fragen sie sich, sicher, dass sich eine solche Bewegung heute ohnehin nicht mehr wiederholen könne. Daraufhin beschließt Geschichtslehrer Jochen Müller, seinen Schülern nicht theoretisch, sondern praktisch zu beweisen, wie manipulierbar jeder Einzelne von ihnen ist, wenn man ihnen nur das Gefühl einer starken, guten Gemeinschaft gibt.

Schon in der ersten Unterrichtsstunde, in der sie fraglos Disziplin und Gehorsam gegenüber ihrem Lehrer üben, wird klar, dass hier eine Strömung Fahrt aufnimmt, die gefährlich werden kann. Katja, Jochen Müllers Frau und ebenfalls Lehrerin an der Schule, sieht diese Gefahr, doch ihr Mann kann das Experiment nicht beenden: Zu viel Freude macht es ihm selbst, als (An-)Führer ernst genommen zu werden und zu sehen, wie die meisten Schülerinnen und Schüler mitgehen. Besonders Außenseiter Kevin findet sich in dieser strengen Struktur gut zurecht und duldet keine Abweichler.

Bald hat man zur Demonstration der Gemeinschaft eine einheitliche Kleidung und einen Gruß mit Worten und Gesten entwickelt: „Stärke durch Disziplin, Stärke durch Gemeinschaft“ ertönt es bald, wenn sich die Klasse trifft, und wer nicht mitmacht, wird bald als Feind identifiziert. Das Experiment gerät schnell außer Kontrolle: Erste Schüler, die sich weigern mitzumachen, werden verprügelt, eine neue politische Kraft formiert, die sich fremdenfeindliche und rechtspopulistische unter den Schülern etabliert. 

Mit einem guten Mix aus jugendlicher Nonchalance und wirklicher Verzweiflung angesichts der furchtbaren Erkenntnis, dass so gut wie jeder manipulierbar ist und sich in der letzten Konsequenz auch der Holocaust wiederholen könnte, präsentierten die jungen Darstellerinnen und Darsteller die Ergebnisse ihrer Halbjahresarbeit. Dabei sei es ihnen besonders wichtig gewesen, die derzeit mächtige populistische Partei Deutschlands, die AfD, leicht umgewandelt in diesem schrecklichen Zusammenhang zu zeigen. So waren es einige Botschaften, die die jungen Erwachsenen ihrem Publikum mitgaben – mit einem Stück, das den Zuschauerinnen und Zuschauern noch lange im Gedächtnis bleiben wird. (pm) +++





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