Kommentar von Julius Böhm

Essener Verhältnisse? Wieder suchen wir das Problem auf falscher Ebene

Ziel der Tafel ist es, Lebensmittel vor dem Müllcontainer zu bewahren. Das Unterstützen Bedürftiger ist ein schöner Nebeneffekt.
picture alliance / Frank May

15.03.2018 / FULDA - Essener Verhältnisse in Fulda: Die bösen Ausländer verdrängen unsere Rentner nun schon in der Warteschlange zur Tafel. Dem Ort, an dem die Ärmsten im Tausch gegen ihr letztes Bisschen Selbstachtung kostenlose Lebensmittel bekommen - weil Rente oder Hartz IV nicht reichen. Ist das unser Problem?



Nein!

Der Satz "wir leben in einem der reichsten Länder der Erde" wurde inzwischen so häufig zitiert, man nimmt ihn schon gar nicht mehr wahr. Noch vortrefflicher scheint die Lage in und um Fulda, wo es quasi keine Arbeitslosigkeit, dafür aber jede Menge Zeit- und Leiharbeit im Niedriglohnsektor gibt. Der SPD-Politiker Karl Lauterbach hat es vergangene Woche im ZDF zutreffend zusammengefasst: "Der wirtschaftliche Erfolg dieses Landes ist in den letzten Jahrzehnten bei der unteren und mittleren Schicht der Gesellschaft schlichtweg nicht angekommen."

Statt dieses Problem anzugehen, werden lieber die Ärmsten gegen noch Ärmere ausgespielt und für populistische Zwecke missbraucht. Die Tafeln sind ein Beispiel für Solidarität, Mitgefühl, Bewusstsein für den Umgang mit Lebensmitteln und Kritik an unserer Überflussgesellschaft zugleich. Ziel ist es, weniger Lebensmittel wegzuwerfen. Auf dieses riesige Werk von tausenden Ehrenamtlichen darf man stolz sein, ja. Unser Sozialstaat darf es aber nicht als Rettungsschirm ausnutzen. Und Parteien schon gar nicht zur Stimmungsmache instrumentalisieren.

Wer sich nicht benimmt, fliegt!

Wer sich nicht benimmt, drängelt oder in sonstiger Weise negativ auffällt und dieses Verhalten auch nach einem nett gemeinten Hinweis nicht verändert, fliegt raus. So einfach ist das. Dafür gibt es ein Hausrecht und in letzter Instanz auch die Polizei. Und dabei spielt die Nationalität des Störenfrieds keine Rolle. Öffentliche Diskussionen oder gar Hochstilisierungen sind überflüssig.

Was arm sein bedeutet, kann weder ich noch ein Spitzenpolitiker wie Jens Spahn beurteilen. Aber er hat insofern Recht, als dass in Deutschland niemand hungern oder unter der Brücke schlafen muss. Der Sozialstaat fängt jeden auf, der sich helfen lässt.

Armut in Deutschland ist eine andere Armut als die in den Slums von Rio de Janeiro. Die "deutsche Armut" bedeutet, dass man zwar gerade genug zum Überleben hat, aber nicht wirklich leben kann. Dass man an der Gesellschaft nicht teilnehmen kann. Dass die eigene Perspektive fehlt. Dass man genau weiß, die eigenen Kinder haben nicht die gleichen Chancen wie andere Kinder. Das macht unglücklich und muss sich ändern. (Julius Böhm) +++


Julius Böhm   Reporter aus Fulda. Vielfältige Einsatzgebiete in Politik, Wirtschaft, Blaulicht, Gericht, Sport und den Geschichten, die das Leben schreibt. Derzeit dualer Student in Medien- und Kommunikationswirtschaft an der DHBW Ravensburg.


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