"Schiff-Umbau auf hoher See"

Bischof Gerber zu Reformen in der Kirche und Corona-Folgen

Bei einem Gottesdienst am Samstag in Fulda äußerte sich Bischof Dr. Gerber zu den Reformen der Kirche.
Archivfotos: O|N

28.09.2020 / FULDA - Nach Überzeugung des Bischofs von Fulda, Dr. Michael Gerber, sind die in der Kirche in den kommenden Jahren erforderlichen Veränderungen vergleichbar mit dem Umbau eines Schiffes auf hoher See. Bei einem Gottesdienst am Samstag in Fulda sagte der Bischof mit Blick auf das Schiff als Symbol für die Kirche: "Es ist eher ein großes Schiff, das sehr viele Güter transportiert aus den vergangenen Jahrhunderten und nicht ganz so wendig ist - angesichts der hohen Wellen, die seinen Kurs herausfordern."



Die Schätze dieses Schiffes seien in unzähligen kleinen Kisten und Kästchen verpackt: "Alle wurden einst mit großem Aufwand hergestellt". Der Inhalt dieser Kisten erzähle von dem, was den Menschen im Laufe der Zeit wichtig geworden ist. Auf hoher See – "wenn der Wind kräftig pfeift und die Wellen sich auftürmen", gehe es im Bauch des Schiffes darum, "dass da ja nichts ins Rutschen kommt, dass die Kisten nicht durcheinandergeraten und uns gar um die Ohren fliegen." Vielleicht beschreibe dieses Bild die aktuelle Lage in der Kirche: "Corona" sorge für unverändert hohen Seegang, "wir haben alle Hände voll zu tun, dass da nicht dauerhaft viele wertvolle Ladung ins Rutschen kommt."

"Eigentlich bräuchte ich sechs Arme und vor allem gute Handschuhe"

So geht es nach den Worten von Bischof Gerber in vielen Kirchengemeinden zum Beispiel darum, "dass wir die Erstkommunion- und die Firmkatechese gut gemeistert bekommen, dass uns nicht durch die Einschränkungen die Messdienerarbeit wegbricht oder die Chöre in eine Existenzkrise kommen". Vielleicht sei dies das Grundgefühl von neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge: "Ich bin da in einen noch unbekannten Bereich des großen Schiffes eingestiegen, um mich herum rutschen alle möglichen Kisten hin und her und ich versuche zu halten, was zu halten ist, aber eigentlich bräuchte ich mindestens sechs Arme und vor allem gute Handschuhe, damit ich mir keine allzu großen Schrammen hole; mancher Daumen ist vielleicht schon eingeklemmt."

Eigentlich sei die Situation noch eine Stufe komplexer, erläuterte Gerber: "Denn längst sind innerhalb der einst sorgsam gepackten Kisten selbst größere Hohlräume entstanden." Verantwortliche, die früher viel getragen haben, seien nicht mehr da - Mittel, die lange selbstverständlich waren, fehlen. Der Bischof von Fulda sagte wörtlich: "Wenn eine Kiste, die in ihrem Inneren größere Leerräume aufweist, durch hohen Seegang ins Rutschen kommt, dann potenziert sich der Effekt. Was in der Kiste ist, wird durcheinandergewirbelt, prallt aufeinander und schädigt sich gegenseitig."

Gerber: Haltepunkte suchen und Tiefenbohrungen wagen

Wie Bischof Gerber beobachtet hat, gibt es die Neigung, "schnell die Kiste zu öffnen, den entstandenen Hohlraum zu vermessen und mit dem zu stopfen, was wir gerade eben an Füllmaterial entdecken." In Kisten mit unfreiwillig entstandenen Hohlräumen werde gerne altes Zeitungspapier gestopft "und in der Produktion von Altpapier kennen wir ja als Kirche uns ja gut aus", formulierte der 50-jährige Bischof. Aber das reiche auf Dauer nicht aus: Um das Problem mit den rutschenden Kisten und den in den Kisten entstandenen Hohlräumen zu lösen, gebe es im schwankenden Schiff noch einen anderen Weg: "Ein Haken in die Decke gebohrt und daran die Kiste aufgehängt." Genau das werde der gemeinsame Auftrag in den kommenden Jahrzehnten sein - als Gemeinde- und Pastoralreferentin, als Diakon, Pfarrer, Seelsorgerin und Seelsorger und als Bischof.

Bei der Aussendungsfeier von neun Frauen und Männern in den pastoralen Dienst des Bistums Fulda stellte der Bischof die Frage: "Wo ist der Fixpunkt, an dem wir das, was uns am Wertvollem zugewachsen ist, festmachen?" Dieser Fixpunkt müsse halten, "auch wenn die See noch so wild tobt und das Schiff bedrohlich in Schieflage gerät". Dieser Fixpunkt könne nicht verhindern, "dass die Last, die daran festgemacht ist, bedrohlich ins Schwanken und Schaukeln gerät." Die Suche nach diesem Fixpunkt, der auch im Sturm trage, sei die zentrale Aufgabe in den kommenden Jahrzehnten. Es werde eine, wenn nicht die wesentliche Aufgabe im pastoralen Dienst sein, mit Menschen nach diesen Haltepunkten zu suchen und "Tiefenbohrungen zu wagen". Vor allem Sortieren in Kisten und Kästchen stehe die Frage: "Wie erfahren Menschen diesen tiefen Halt?"

Ziel: Anderen Halt anbieten, die in Seenot geraten sind

Zugleich brauchen Mitarbeitende im pastoralen Dienst nach Überzeugung des Bischofs Geduld: Nicht jede Tiefenbohrung glücke gleich - das wisse jeder, der schon Dübel verankert habe: "Manchmal ist der Untergrund nicht stabil genug oder umgekehrt sehr hart und die Bohrspitze beginnt zu glühen. Haben wir keine Angst, auch ein zweites oder drittes Mal anzusetzen", ermutigte der Bischof von Fulda die neuen Seelsorge-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die in der Decke des Schiffes verankerten Kisten werden bei Seegang weiter heftig schwanken: Eine Seekrankheit sei nicht ausgeschlossen "und möglicherweise verklemmen wir uns auch die Finger, wenn zwei solche Kisten aufeinanderprallen".

Wer die Kisten gut verdaut habe, könne mit innerer Freiheit auch an Deck gehen und wahrnehmen, wer jenseits der Planken des Schiffes längst in Seenot geraten sei: Um das Tau auswerfen und anderen anzubieten, Halt am Schiff zu finden. Wenn das Schiff auch noch so schwanke und gar auseinanderzubrechen drohe, könnten Christen auf die Zusage und Hilfe Gottes vertrauen. (pm) +++

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