"Demokratische Werte sind unsterblich"

Heute vor einem Jahr wurde der Kasseler RP Dr. Walter Lübcke ermordet

Jahrelang wurde Dr. Walter Lübcke im Netz angefeindet, weil er für demokratische Werte einstand.
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02.06.2020 / REGION - Die Nachricht erschütterte die ganze Republik: "Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke ist tot – Region und Regierung geschockt", titelte OSTHESSEN|NEWS am 3. Juni 2019. Ein Tag zuvor war der beliebte CDU-Politiker im Alter von 65 Jahren vor seinem Wohnhaus in Istha bei Kassel mit einem Pistolenschuss aus nächster Nähe in den Kopf regelrecht hingerichtet worden.

Nach fieberhaften Ermittlungen von LKA und Kripo, Zeugenaufrufen und einem Bericht in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY … ungelöst" kam schnell der Verdacht eines rechtsextremen Tatmotivs auf. Da keine Waffe am Tatort gefunden worden war, schied ein Suizid aus.

Und so wurde am 15. Juni der hessische Rechtsextremist Stephan Ernst (Jahrgang 1973) als dringend tatverdächtigt festgenommen. Dessen DNA war an Lübckes Kleidung sichergestellt worden. Am 25. Juni legte Ernst ein Geständnis ab, das er am 2. Juli widerrief, aber am 8. Januar 2020 durch ein Teilgeständnis ersetzte.

Stephan Ernst ist in der rechten Szene kein Unbekannter. Als Tatmotiv nannte er in beiden Geständnissen Äußerungen Lübckes während der Flüchtlingskrise 2015. Der RP hatte sich öffentlich für die Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt, war der Hetze gegen diese von Seiten der Kagida, des Kasseler Ablegers der islamfeindlichen und rassistischen Pegida, entgegengetreten und sah sich danach zahlreichen Anfeindungen und Morddrohungen ausgesetzt.

Weit über 1.200 Trauergäste kamen am 13. Juni 2019 in die evangelische Martinskirche zu seiner Beisetzung. Die hessische Landesregierung war mit Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sowie allen Ministern und Staatssekretären vollständig vertreten. Aus allen Teilen des Landes waren Landräte, Oberbürgermeister und Bürgermeister gekommen. Einen Monat später ehrte Bouffier den Ermordeten posthum mit der Wilhelm-Leuschner-Medaile, der höchsten Auszeichnung des Landes Hessen.

Als "Mann vom Volk" galt Walter Lübcke als bürgernah, er war beliebt bei den Menschen und immer darauf bedacht, Lösungen für Probleme zu finden. Er war nicht der staubtrockene Verwaltungsmann, der vom Schreibtisch geführt hat, sondern lieber in den Regionen zwischen Fulda und Kassel unterwegs, um sich vor Ort über Probleme und Projekte zu informieren.
"Mit Lübcke ist eine bedeutende Persönlichkeit in Nordhessen völlig überraschend aus unserer Mitte gerissen worden, das ist sehr schwierig für uns alle gewesen", sagte dessen Nachfolger als Kasseler RP, Hermann-Josef Klüber, Anfang dieses Jahres im Redaktionsgespräch mit OSTHESSEN|NEWS. "Der Mord an ihm und er selbst sind nach wie vor bei jeder Veranstaltung und in vielen Gesprächen präsent, und das ganze Haus fühlt sich betroffen von diesem Anschlag."

Erst in der vergangenen Woche haben das Regierungspräsidium Kassel und die nordhessische Initiative "Offen für Vielfalt - Geschlossen gegen Ausgrenzung" eine groß angelegte Kampagne gestartet, die an die Ermordung Walter Lübckes und dessen Engagement für eine offene, tolerante und demokratische Gesellschaft erinnern soll und sich gegen rechte Hetze und Gewalt wehrt. Zum Auftakt wurde am Donnerstag ein rund 200 Quadratmeter großes Banner am Regierungspräsidium angebracht. Die Botschaft darauf ist ebenso bewegend wie klar: "Demokratische Werte sind unsterblich." (mw) +++

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