Theaterverein Kulisse mit neuer Produktion

Unbedingt sehenswerte Gesellschaftssatire: Zeit der Kannibalen

Der Countdown läuft. Erfüllt sich jetzt der Traum von der ganz großen Karriere?
Fotos: Gudrun Schmidl

19.11.2019 / ROTENBURG/F. - Zwei Unternehmensberater unterwegs in der Welt und doch immer nur in ihrer Berufsblase gefangen. Das Männerteam lebt in Luxushotels, trifft Kunden, führt Gespräche, die über Outsourcing, Stellenabbau und Millionenbeträge entscheiden. Das ist die Ausgangslage der Gesellschaftssatire „Zeit der Kannibalen“, die sich zudem als Groteske auf den globalen Kapitalismus versteht. Der Theaterverein „Kulisse, Verein für darstellende Kunst“, bringt dieses Stück, basierend auf dem Drehbuch des gleichnamigen Films von Johannes Naber, in insgesamt vier Vorstellungen auf die Bühne im Bürgersaal im Bürgerzentrum Rotenburg an der Fulda. Am Samstag feierte die „Kulisse“ mit ihrer neuen Produktion umjubelte Premiere. Am Sonntag folgte die zweite Aufführung vor ebenfalls vollem Haus.



Zwei karrieregeile Männer mit ganz unterschiedlichen Charakteren. Kai Niederländer (Andreas Renke) ist der arrogante Typ, der mit Vorliebe Hotelpersonal schikaniert (Wenn Schokolade auf meinem Kopfkissen liegt, poliere ich dir die Fresse), dazu noch ein weinerlicher Hypochonder und aktuell Single ist. Nur 34,4 Sekunden braucht er, um im Dunkeln seinen Koffer zu packen. Sein Partner Frank Öllers (Dietrich Both) hängt durch und am Dauertelefon mit seiner esoterisch angehauchten Frau, die in den Dalai Lama verliebt ist und sich von ihrem ständig abwesenden Mann scheiden lassen will. Nur die Sorge um den dreijährigen Sohn, der an Neurodermitis im Endstadium erkrankt ist, verbindet sie.

Dann wird ihnen eine Frau vor die Nase gesetzt. Bianca März (Heidi Valenta) zeigt Fachwissen, soziale Kompetenz und Interesse an Land und Leuten und versucht, aus dem verschlossenen Fenster des Hotels einen Blick auf die berühmte Altstadt zu erhaschen, da Sightseeing unmöglich ist. Eigentlich wollte sie als Ärztin den Armen der Welt helfen, war Mitglied in einer NGO. Doch weil das die Welt nicht veränderte, wurde sie internationale Unternehmensberaterin.

Als das Männergespann erfährt, dass ihr Kollege Hellinger zum Teilhaber der Company aufgestiegen ist, wird es unbequem. Dort oben wollten eigentlich sie sein. Irgendwas läuft aus dem Ruder: Weshalb ist Bianca dem bislang gut funktionierenden Team zugeteilt worden? Hat der Chef die Frau auf sie angesetzt? Sollen auch sie jetzt ausgesourct werden? Niederländer verrät sie ihre Mission, der wittert die Chance und zieht über seinen Partner her. Ins Bett geht sie dann aber mit Öllers. Dem Ehemann sind Seitensprünge nicht fremd – vor allem mit dem Hotelservice. „Ich habe die sowas von geleckt“, tönt Öllers.

Louisa Klöpfel schlüpft in die Rolle des Zimmermädchens, Dominic Mell muss als Hotelpage einiges ertragen, Jörg Stenpin bekommt als Inder Singh eine Absage, weil die Unternehmensberater Pakistan mit einer Infrastruktur aus der Steinzeit als neues Geschäftsfeld bevorzugen und Jürgen Völlkopf meldet sich aus dem Off als Investor John Schernikau. Der immer wieder erwähnte Hellinger ist tot. Aus dem Fenster gesprungen. Hellinger war depressiv, aber nicht krank. „Er nahm doch regelmäßig seine Medikamente“. 

Dietrich Both brilliert nicht nur auf der Bühne, sondern führt gemeinsam mit Irina Schade gekonnt Regie. Ihre Bühneninszenierung lebt vor allem von dem starken Bühnentrio Öllers, Niederländer und März, pointierten, teils sarkastischen Dialogen, dem vorantreibenden Einsatz von Musik, den rasanten Szenenwechseln, in denen die überdimensionalen „Bauklötze“ (geniales Bühnenbild von Ernst Halamek) in die jeweils richtigen Positionen geschoben wird, den unüberhörbaren Gewehrsalven und dem Moment, in dem sich die Gesellschaftssatire zum Thriller entwickelt. Was passiert da draußen eigentlich wirklich? Bei ihren Einsätzen rund um die Welt kriegen die Unternehmensberater nichts von Armut und politischen Umwälzungen rund um sie herum mit. Zum Schluss knallt es.

Mehr soll nicht verraten werden, denn Interessierte haben am Freitag, 22. November und Samstag, 23. November jeweils um 19.30 Uhr die Gelegenheit, diese sehenswerte Gesellschaftssatire zu erleben. Mit lebensunfähigen Zwangsneurotikern mit panischer Angst vor Statusverlust und Absturz, die letztendlich alles total verkackt haben und ihrer Kollegin, die nur noch kotzen kann. Die drei Protagonisten spielen dermaßen eindringlich, dass die Zuschauer vergessen, dass sie gerade Amateurtheater sehen. Das Stück ist für Kinder unter 12 Jahren nicht zu empfehlen, betonen die Veranstalter. (Gudrun Schmidl) +++

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